Mitte der Siebziger tobt in London wortwörtlich der Punk. Die Sex Pistols grölen ihren Frust von der Bühne, Vivian Westwood prägt mit Malcom McLaren den Style der Szene, noch ist der Ruhm von The Clash nur zu erahnen, neue Tanz- und Modeexperimente werden gewagt und irgendwie hängt alles mit allem und jeder mit jedem zusammen. „Aufbruch!“ lautet das Motto. Auch die Geschlechterfrage wird neu gestellt. Die Zeit ist reif für die erste Frauen-Punkband der Musikgeschichte: The Slits avancieren als Starthilfe für künftige Musikerinnen, die heute ihren Weg selbstbestimmt gehen.
Die ehemalige Slits-Gitarristin Viv Albertine legt mit „A Typical Girl“ viel mehr als eine Autobiografie vor. In der ersten Hälfte des Buches vermittelt sie das Lebensgefühl ihrer Generation. Sie erzählt von der Gründung, dem Erfolg ihrer und vieler anderer Bands, beschreibt Weggefährten, Liebes- und Sexverhältnisse. Für die heutige, porentief reine wie haarbefreite Generation ist die von Albertin beschriebene Körperhygiene bzw. die Abwesenheit derselben manchmal schwer lesbar, gerade wenn es ins zwischenmenschliche Detail geht. Albertines Humor ist derb, sie erzählt nah, schonungslos, aber auch zart.
In der zweiten Hälfte – wobei diese „Hälfte“ deutlich schmaler ausfällt als die erste – beschreibt Albertine wie sie nach einer schweren Krebserkrankung dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Nach dem Ende ihrer Band, der Jugend und der wilden Jahre meint sie eine lange Weile ihren Lebensweg in der Existenz der braven Hausfrau und Mutter gefunden zu haben. Aber die Kunst findet sie wieder. Und Viv Albertine hat sich inzwischen von der schüchternen Gitarristin in eine selbstbewusste Frau entwickelt. Um das Buch zu lesen muss man weder die Slits kennen, noch über Wissen in Sachen Punk verfügen. Man sollte einfach nur Lust auf diese abenteuerliche Ära auf den Straßen Londons haben.
4 von 5 Punkten