Wer repräsentiert eigentlich Deutschland? Lena Gorelik beantwortet die Frage mit „Wir!“ Mit dem Personalpronomen sind gemeint die „Urdeutschen“ genauso wie die „Migranten“. Sie macht darauf aufmerksam, dass die deutsche Gesellschaft schon längst aus Menschen mit unterschiedlichen Herkünften, Glaubensrichtungen und Ansichten besteht, was die Gesellschaft einerseits bunter gestaltet, auf der anderen Seite Schwierigkeiten mit sich bringt. In diesem Zuge erinnert die Autorin an die Stärke Deutschlands: Diese Gesellschaft ist stabil genug, Schwierigkeiten auffangen zu können. Daran kann gegenwärtig nicht genug erinnert werden.
Gorelik ist angenehm unsentimental und frei von jeder Sozialromantik. So nimmt sie z. B. den pauschalierenden Begriff „Migrationshintergrund“ auseinander. In diesem Zusammenhang stellt sie klar, warum es besser ist, von Diversität zu sprechen und so zu handeln – für alle. Mit Sachverstand erklärt sie den Mechanismus und die Wechselwirkung von Medien und Nutzern, wie es um die Integrationspolitik in Deutschland steht und warum es weniger um Integration als vielmehr um Teilhabe in einer vielfältigen Gesellschaft gehen sollte.
Ein Kapitel erläutert die heimliche Rangliste von „gewollten“ und „ungewollten“ Ausländer. Die Liste, so komprimiert aufgeschrieben, nimmt sich bizarr, ja zynisch aus, genauso, wie es sich für „die Ausländer“ wiederum in der Realität darstellt. Nicht zuletzt nimmt Gorelik ihre Leser in die Pflicht mit der Frage „Was für eine Gesellschaft, was für ein Land wollen wir sein?“
Durch ihre eigene Geschichte kennt sie beide Seiten: die der „Deutschen“ und die der „Migranten“. Als 11-Jährige kam die Autorin mit ihrer Familie aus der ehemaligen Sowjetunion nach Baden-Württemberg. Das Buch ist authentisch, analytisch und zutiefst menschlich. Es erschien 2012, also 3 Jahre vor der Flüchtlingswelle. Jede Zeile in diesem Buch ist aktueller denn je. Wer sich fundiert über das Einwanderungsland Deutschland informieren, wer sich zum (Weiter)Denken anregen lassen möchte, ist mit diesem klugen Buch gut beraten.
5 von 5 Punkten