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Anja Goerz „Der Osten ist ein Gefühl – Über die Mauer im Kopf“

September 14th, 2014 ·

In ihrem Buch lässt Fotografin und Radiomoderatorin Anja Goerz Menschen aus West, vor allem aber aus Ost, Bekannte und Unbekannte zu Wort kommen. Ein schöner Gedanke, keinen historisch-akademischen Abriss oder einen Roman herauszubringen, sondern reale Menschen über ihre Sicht des Mauerfalls und den daraus für sie resultierende Konsequenzen erzählen zu lassen: etwa eine Tatortreinigerin, die in der DDR als Model arbeitete oder den Ex-Direktor der Charité Berlin mit seiner Kritik an der bundesdeutschen „Abwicklung“ des Schwesternstaates. Entlarvend das Interview mit Moderatorin Inka Bause: Schon zu DDR-Zeiten ein Star und aus einer wohlhabenden, privilegierten Familie stammend, kritisiert sie heute ehemalige „Mit-DDRler“. Sie verschöben ihre Verantwort und die einhergehenden persönlichen Misserfolge allein auf die politische Wende – was impliziert, dass es alle schaffen könnten, wenn sie nur wollten. Eine erstaunlich oberflächliche und unempathische Sicht anderer Lebensläufe. Derlei mehr (menschliche) Überraschungen gilt es in dem Buch zu entdecken.

Der rote Faden fehlt, wonach Goerz die Interviewten ausgesucht hat. Gut so, denn auf diesem Weg entfaltet sich ein Kaleidoskop an Eindrücken, Ansichten und Meinungen zur Wende, was dem Leser ermöglicht, sich ein eigenes Bild zu machen. Es ist ein dringend benötigtest Buch nach 25 Jahren Wiedervereinigung. Eine Wiedervereinigung, die sich in Köpfen, Herzen und auch sozialpolitisch noch vollziehen muss.

Leider zerfällt das Buch in drei Bereiche. Eben in den Bereich der guten Idee, den Bereich der ungelenken Schreibe sowie den der schlechten Fotos. Sehr wohl beschreibt Anja Goerz ihr Gegenüber. Irgendwie zumindest. Die Gespräche lesen sich allerdings wie 1 zu 1 vom Band transkribiert. Die Texte leben nicht. Außerordentlich schade ist das. Die Erzähler ihrer Lebensgeschichten haben einen würdigen Rahmen in Form von geschmeidigen Formulierungen verdient. Ähnlich die Auswahl der Fotos: Sie speisen sich aus dem privaten Fundus des jeweils Interviewten. Nur leider eigenen sich die meisten nicht für eine Veröffentlichung durch ihre oft nichtssagenden Motive. Die Überlegung dahinter ist klar: Sie sollen den Leser mehr ins Private – denn darum geht es ja – hineinziehen. Gut gedacht ist hier mal wieder nicht gut gemacht. Am Ende des Buches ist der Wunsch groß, nunmehr möge sich ein Autor, der schreiben kann, dem Thema genauso beherzt wie Goerz widmen.

3 von 5 Punkten

Tags: Sachbücher · Biografien