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Julia Leigh „Unruhe“

Mai 27th, 2013 ·

Nach Jahren kehrt Oliva, zerschunden und misshandelt vom Ehemann, mit ihren beiden Kindern in das französische Herrenhaus ihrer Mutter zurück. Die Mutter ist eine selbst inszenierte grande damé. Vor allem ist sie kalt und abweisend. Obwohl nicht willkommen, darf die Tochter bleiben. Höchst willkommen und sehnsüchtig erwartet ist hingegen Bruder Marcus mit seiner Frau und dem neugeborenen Kind. Aber bei ihrer Ankunft der Schock: Das Baby ist tot, die Eheleute sind am Ende ihrer Kräfte und ihrer Liebe. Die Zersetzung der gesamten Familie hat längst begonnen.

Die Australierin Julia Leigh studierte Kunstgeschichte und Jura, bevor sie vor zehn Jahre ihren ersten Roman „Der Jäger“ schrieb. Der vielfach ausgezeichnete Thriller überzeugte Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison so, dass sie Leigh inzwischen als Mentorin unterstützt. Hoch gelobt wurde damals die präzise Sprachwahl der Autorin. Auch in ihrem zweiten Roman verzichtet Leigh auf jedes überflüssige Wort. Die Lektüre ist ein subtiler Horrorfilm in Buchform. So schmal das Bändchen, so stark ist die Wirkung des Schreckens.

Eine Familie ist dem Untergang geweiht. Hoffnungslosigkeit paart sich mit surrealen Szenen, Kälte und Wahnsinn gehen unheilige Allianz ein. Niemand interessiert sich für die Trauer des anderen, die Protagonisten sind gefangen in ihrer eigenen Trostlosigkeit. Jeder ist Täter und Opfer zugleich. Selbst die Kinder haben ihre Unschuld längst verloren. Unter der perfekten Oberfläche, unter dem Deckmäntelchen der Ruhe, schwelt die permanente Unruhe zwischen den handelnden Figuren. Für den Leser stellt sich die Frage: Wird es ein Entrinnen geben? Leicht wie eine Skizze wirkt das Buch, das erst bei intensiver Betrachtung seine schockierende Wirkung entfaltet.

3 von 5 Punkten

Tags: Horror · Krimis