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Alina Bronsky, „Baba Dunjas letzte Liebe“

Oktober 4th, 2015 ·

Dorthin, wo jedes Leben nach der großen Katastrophe kaum mehr möglich scheint, ist die resolute Baba Dunja zurückgekehrt: in ihre Heimat Tschernowo, eine der von der Reaktorexplosion des Kernkraftwerkes Tschernobyl betroffenen Siedlungen. Sie ist nicht die einzige. Auch die traurige Melkerin Marjas, Petrov, der ohne Bücher nicht leben kann und der agile, fast 100-jährige Sidorow leben wieder hier. Sie bilden eine kleine, sehr lebhafte Gemeinschaft. Totgesagte leben eben länger. Ein wenig sentimentaler, dafür aber überaus inniger Umgangston herrscht untereinander. Dunja fungiert als die heimliche Dorf-Vorsteherin. Sie ist es, die ein umsorgendes Auge auf alle Bewohner wirft, die menschlichen wie die tierischen.

Baba Dunjas erwachsene Kinder haben inzwischen fernab des Strahlengebiets ein neues Zuhause gefunden. Die Tochter ist bemüht, ihre Sorgen mit Paketen an die Mutter zu beruhigen, der das so recht nicht wirklich ist. Trotz der einfachen Lebensweise mangelt es den Bewohnern an nichts im Alltag. Stoisch lässt die Gemeinschaft immer wieder wissenschaftliche Untersuchungen ihres Dorfes über sich ergehen und ist auch nicht von penetranten Journalisten aus der Ruhe bringen. Die ruhe ist vorbei, als eines Tages ein Vater mit seiner Tochter die Welt der kleinen Gemeinschaft betritt und sie damit auf eine schwere Probe stellt.

Alina Bronsky („Scherbenpark“, „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küchen“) hat den Hang, (vor)laut und hektisch zu schreiben. Nicht in diesem Buch und das tut dem Text sehr wohl, vor allem in Kombination mit der Bissigkeit, die sie Baba Dunja auf die Zunge legt. Pragmatisch, konzentriert auf das Hier und Jetzt, haucht Bronsky ihrer Figur Dunja den Atem einer selbstbestimmte Frau ein, die vor Tiefschlägen nicht einknickt und immer ihren beißenden Humor behält. Seite für Seite schält die Autorin die „letzte Liebe“ ihrer Protagonistin heraus, die Liebe nämlich, die sie hegt für ein autarkes Dasein in einem bewusst gewählten Umfeld, entgegen den Urteilen anderer – hier lässt sich Demut vor dem Leben bei Dunja abgucken. So wird aus dem recht kurzen Buch ein ganz zauberhafter Roman, der eintaucht in ein wundersames Idyll mit Fehlern.

5 von 5 Punkten

Tags: Belletristik